10 Oktober 2009

Herbsttage


Vielleicht geht es ihnen so ähnlich wie mir. In jedem Herbst nehme ich mir vor die Gartenarbeiten „rechtzeitig“ zu tun, was bedeuten soll, ich möchte nicht warten bis es kalt wird. Deswegen wandle ich erfahrungsgemäß gleich am allerersten kühlen regenverhangenen Septembertag durch den Garten, fest entschlossen sofort mit dem Vorhaben zu beginnen. Dann so nach einer halben Stunde, kriecht mir die feuchte Kälte bis unter die Haut. Ich überlege kurz ob es nicht doch angenehmer wäre auf wärmere Tage zu warten und werfe die Gartengeräte wieder ins Häuschen. Zwei Tage später scheint die Sonne warm und golden und ich denke: Ja, heute solltest du beginnen im Garten Ordnung zu schaffen. Zögerlich reiße ich die etwas verblühten Borretschbüsche heraus, halte aber schon ungefähr beim dritten inne, weil mir die hellblauen Blütchen irgendwie ein Stopp signalisieren. Gut, denke ich, lasse sie noch stehen und wende mich den Kräuterbeeten zu. Zupfe etwas am Schnittlauch herum, stecke mir ein Salbeiblatt in den Mund und dann noch eins. Dann greife ich einige Minzeblättchen zerreibe sie in der Hand. Der betörende Duft dieser Kräuter muss wohl eine narkotische Wirkung auf mich haben, denn ich setze mich für eine kleine Rast in die große Buchsbaumhecke, die mitten im Bauerngarten steht. Die Minuten vergehen, plötzlich ist der nahende Herbst vollkommen vergessen und ich muss überlegen was zum Teufel ich hier mit der Gartenschere tun wollte. In diesen Momenten entscheide ich dann in der Regel: Es ist noch Spätsommer. Erleichtert über meine Erkenntnis schaue ich um Verzeihung bittend die Rosenknospe an, die zuversichtlich aus der Hecke emporwächst.
Abermals, genau so wie an dem kühlen regnerischen Tag bringe ich die Gartengeräte entschlossen zurück ins Häuschen.
Daraufhin folgen immer die übermütigen Septembertage in denen ich die ganzen Wonnen des Reifens, den Früchtesegen und das Farbenmeer des fortschreitenden Herbstes vollauf genieße. Ich veranstalte Tage in denen ein Kräfte messen angesagt ist (siehe Gartenbucheintrag...) und überlege dabei fieberhaft wo um alles in der Welt ich die winzigen Zwiebelchen der Präriekerzen einpflanzen soll die ich in einer alten Tonschale fand. Oder warum ich nicht doch noch einige Winterlinge für die Mäuschen kaufen soll.
Diese Stunden im Garten haben eine andere Tiefe als die des Frühlings. Sie sind gefühlvoller, feinfühliger, leiser, ruhiger und wecken den Wunsch nach Vollendung, in der schon der Keim des Zukünftigen ruht.
Gestern Morgen, ich hatte schon darauf gewartet, geschah es dann: Ein kleines Zwerglein, oder war es ein Erdmännchen, flüsterte mir ins Ohr: „Margit, es ist an der Zeit den Garten zu versorgen, oder willst du warten bis der erste Schnee fällt?“ Ich erschrak als ich ihn von Schnee sprechen hörte und spürte wie mir plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Etwas eingeschüchtert suchte ich die Gartenschere und begann hier und da Verblühtes und Vergehendes zu entfernen. Zu Mittag kam dann die Sonne raus, meine Stimme im Ohr wurde sofort leiser als ich mich ein wenig in den Efeuranken verfing, die ich zwischen das Gitterwerk des Zaunes flocht. Ein leichter Wind trug mir das Stimmchen wieder ins Ohr und mahnte mich zur Konsequenz. Ich begann die Mostbirnen aufzulesen, holte die herhab gefallenen Quitten von der Wiese und grub die restlichen Möhren aus. Auch die letzten überreifen Zwetschgen, die außerhalb der Reichweite des Schüttelhakens hingen rechte ich sorgfältig zusammen und brachte sie zum Kompost. So verging der Nachmittag.

Als ich zu frösteln begann holte ich meine dickste Jacke und wanderte ich mit mir und der Welt im friedlichen Einklang durch den Garten. Ich stieg auf das von wildem Wein umhüllte Baumhaus, setzte mich für eine kleine Weile auf das Bänkchen und begann ein bisschen zu träumen.
Mir fielen die Blumenzwiebeln ein, die noch in die Erde mussten und dabei kam mir der Gedanke, dass ein Gärtner immer in die Zukunft denkt, man erinnere sich nur an das Apfelbäumchen, welches ein bekannter Reformator einstmals pflanzen wollte egal ob die Welt morgen untergehen würde. Also, meine Blumenzwiebeln müssen in die Erde gleichgültig was auch kommen mag, denn in ihnen schlummert der Frühling. Dieses Denken hat für mich nichts mit der „Hoffnung“ zu tun die mir oftmals die größte Fälscherin der Wahrheit war, sondern mit dem Vertrauen auf das Leben schlechthin.

Für heute wünsche ich ihnen alle noch viele erdverbundene, beglückende Oktobertage,sonnige wie stürmische. Mit braun glänzenden Kastanien vielleicht oder leckeren Nüssen die ihnen der Wind vom Baum holt. Sie müssen sie nur noch finden.

Warmherzige Oktoberabendgrüße
a presto
m