04 September 2009

Der Schauende

Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
die aus laugewordenen Tagen
an meine ängstlichen Fenster schlagen,
und höre die Fernen Dinge sagen,
die ich nicht ohne Freund ertragen,
nicht ohne Schwester lieben kann.

Da geht der Sturm, ein Umgestalter,
geht durch den Wald und durch die Zeit,
und alles ist wie ohne Alter:
die Landschaft, wie ein Vers im Psalter,
ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.

Wie ist das klein, womit wir ringen,
was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen,
uns so vom großen Sturm bezwingen, -
wir würden weit und namenlos.

Was wir besiegen, ist das Kleine,
und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine
will nicht von uns gebogen sein.

Rainer Maria Rilke
aus: Das Buch der Bilder
aus: Der Schauende

Wenn ich mich Gedichten zuwende, ist es so als höre ich in mich hinein. Manche bringen Saiten in mir zum klingen die mir erst noch bewusst werden möchten. Dank dieser Gedichte spüre ich wo ich stehe, was reif geworden ist und was noch Zeit braucht. Manche Gedichte brauchen ihre Zeit... meine Lebens-Zeit in der ich sie brauche.
Manche schon verinnerlichte Gedichte entfalten eine starke emotionale Wirkung in mir, die an die Tage erinnert in der ich sie fand.

"Der Schauende" fühlt sich für mich wie ein Betrachtender an, einer der in der Zurückgezogenheit, eine Ahnung von Wahrheit spürt, auch die, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Du braucht. Das Wertvolle des Selbst und des Du erkennt und ersehnt.
Der „Sturm“ setzt ihn in einer Landschaft ab in der alles nur noch still ist „ohne Alter“. Dort in der Stille kommt das Lärmen der Sinne zur Ruhe und er kann sich auf das „Nichts“ einlassen. Ähnlich wie in Hesses Gedicht „Glück“, das ich sehr mag entsagt "Der Schauende" jedem Wunsch und nennt das Glück nicht mehr beim Namen.

Der Schmetterling kann ganz zart und fast unbemerkt auf seinem Handrücken landen ...

(ein Versuch einer mir eigenen Interpretation)

Abendgrüße in die regnerische Nacht
a presto
m