22 November 2009

Der Kern unseres Wesens...


Von der Zeit

Und ein Sternenkundiger fragte: Meister, was ist die Zeit?
Und er antwortete: Ihr möchtet die Zeit ermessen, die maßlose, unermessliche.
Und ich möchte euren Wandel richten und selbst den Lauf eures Geistes lenken nach Stunden und Zeitbegriffen.
Aus der Zeit wollt ihr einen Strom machen, an dessen Ufern ihr euch niederlasset, um ihn im Vorbeifließen zu überwachen.
Doch das Zeitlose in euch weiß um die Zeitlosigkeit des Lebens.
Und es weiß, dass Gestern nur die Erinnerung an Heute ist, und Morgen nur der Traum von Heute.
Und dass, was in euch singt und sinnt, immer noch verweilet in den Grenzen jenes ersten Augenblicks, der die Gestirne in den Raum gestreut.
Wer unter euch fühlte nicht, dass die Macht der Liebe grenzenlos ist?
Und dennoch, wer fühlte nicht, dass diese Liebe, die Unbegrenzte, im Kern seines Wesens eingeschlossen ruht und nicht von einem Liebesgedanken zum andern, noch von einer Liebestat zur andern irret?
Und ist nicht Zeit, der Liebe gleich, ungeteilt und raumlos?
Doch könnt ihr es nicht vermeiden, die Zeit in eurem Denken nach Zeitbegriffen zu messen, so lasset eine jegliche Zeiteinheit alle übrigen umfassen.
Und das Heute halte die Vergangenheit umschlungen mit der Erinnerung, und die Zukunft mit der Sehnsucht.
(7.01.2002)...

Khalil Gibran
aus: Der Prophet

Warmherzige erinnerungsreiche Grüße
a presto
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